Berthold Kellner für solidarisches Kranken- und Sozialversicherungssystem
Berthold Kellner, Geschäftsführer der Lebenshilfe im Landkreis Tirschenreuth, nahm bei der Mitgliederversammlung der Arbeiterwohlfahrt (wir berichteten) die Bereiche Krankenversicherung und Rente im Sozialversicherungssystem unter die Lupe. Beide Versicherungen hatte Otto von Bismarck im 19. Jahrhundert gegen die Verarmung eingeführt.

Durch den medizinischen Fortschritt unterlag und unterliegt die Krankenversicherung ständigen Änderungen. Heute von einer Kostenexplosion zu sprechen, ließ Kellner nicht gelten. Die Krankheitskosten müssten im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt gesehen werden. Die Kosten pendelten zwischen elf und zwölf Prozent. Logisch sei ein Anstieg der Aufwendungen durch eine bessere medizinische Versorgung.

Mehrklassenmedizin

Tatsache sei aber auch die sich abzeichnende Entwicklung hin zu einer Mehrklassenmedizin. Privatversicherte oder Patienten mit einer privaten Zusatzversicherung würden besser behandelt. Größte Ungerechtigkeit sei, dass alle Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung von den Arbeitnehmern kommen. Auch der Arbeitgeberanteil müsse zuvor von den Arbeitnehmern erwirtschaftet werden.
Kellner sprach sich für eine Bürgerversicherung als solidarische Versicherung aus. Alle Einkünfte müssten beitragspflichtig werden, forderte er, denn es gebe viele Menschen mit hohem Einkommen, die aber keine Beiträge leisten. Alles medizinisch Mögliche müsse allen zustehen.

Ins Paket gehöre ebenso die Pflegeversicherung. Bis zum Jahr 2030 klettere die Zahl der Pflegebedürftigen um eine auf 3,3 Millionen. 150 000 Pflegekräfte mehr würden benötigt. Dabei gelte es, die Demenzerkrankung besser zu berücksichtigen. Eine Absage erteilte der Referent der reinen Minutenpflege.

Mehr Rechte forderte Berthold Kellner für alle Menschen ein, die Angehörige zu Hause pflegen. Sie bräuchten zum Beispiel Sicherheit für ihren Arbeitsplatz. Im Fokus allerdings stehe die stationäre Aufnahme. Das Personal in der Pflege stehe unter Druck.

Vehement sprach sich der Geschäftsführer der Lebenshilfe gegen billige Pflegekräfte aus dem Ausland aus. Oftmals sei es nur eine Sklaverei. Es könne nicht sein, dass über 100 000 Frauen ohne soziale Absicherung in der Bundesrepublik arbeiten. Ein Skandal, um dem sich die Politik kümmern müsse, so Berthold.
Wie bei der Krankenversicherung zog Kellner einen Vergleich zwischen dem Renteneintrittsalter und der längeren Lebenserwartung mit der gestiegenen Produktivität. Im Vergleich mit der um ein vielfaches gestiegenen Produktivität müssten die Menschen heute kürzer als früher arbeiten, auch wenn die Lebenserwartung bei Männern um zwölf und bei Frauen um 13 Jahre gestiegen ist.

Rente mit 67 ist „Blödsinn“

Die Rente mit 67 sei volkswirtschaftlicher Blödsinn, weil sie durch das mittlere Renteneintrittsalter von 60,4 Jahren faktisch eine Rentenkürzung sei. In 15 bis 20 Jahren werde das Problem Fachkräftemangel eine neue Dimension erreichen. Daher müssten ältere Arbeitnehmer gut behandelt werden, so Berthold Kellner. Er forderte für sie dynamische und flexible Arbeitszeitreglungen.

aus Der Neue Tag, bkr