Vertrauen. Dieses Wort fällt oft, wenn Anita Hendl und Stefan Hartung über ihre Arbeit bei der Betreuung von Flüchtlingen sprechen. Nur so kann ihrer Ansicht nach Integration gelingen. Beide können hier schon einige Erfolge vorweisen.
Anita Heindl und Stefan Hartung beherzigen bei ihrer Tätigkeit das bayerische Sprichwort: „Mit’m Reden kumma d’Leit zamm.“ Man müsse sich auf eine Stufe mit den Flüchtlingen stellen, erklärt die Ansprechpartnerin für die dezentralen Unterkünfte im Altlandkreis Kemnath. Nur dann erzählten sie von ihren Problemen, den Beweggründen, ihrem Heimatland den Rücken gekehrt zu haben, und von ihrer teils dramatischen Flucht.
Neben der Sprachbarriere ist die Unwissenheit ihrer Schützlinge, aber auch die der Bevölkerung vor Ort, eines ihrer Hauptprobleme. Viele Flüchtlinge kämen mit falschen Vorstellungen nach Deutschland. So werde ihnen von „Schleppern das Blaue vom Himmel erzählt“, berichtet Hartung. Heindl weiß von einem Achtjährigen, der geglaubt habe, dass in Deutschland das Geld an Bäumen wachse. Ein Erwachsener habe ihn gleich nach der Ankunft gefragt, wo er denn jetzt ein Haus herbekomme, ergänzt Hartung. Die Mehrheit „weiß wenig über die Welt. Da sind Glaube und Hoffnung größer als der Realitätssinn“. Daher müsse erst erklärt werden, „wie das Leben hier läuft“.
Argwohn gegen Staat
Dabei haben beide feststellen müssen, dass der Argwohn gegenüber Behörden groß ist. „Viele haben den Staat in ihrem Heimatland als Feind wahrgenommen.“ Erst unzählige Gespräche hätten ein Nachdenken bewirkt. Auch wenn sie über die vielen Anträge geschimpft haben, so haben die Flüchtlinge erkannt, dass in Deutschland die Behörden nicht bestechlich seien, sagt der Koordinator für Flüchtlingshilfe. Dass hier alles „streng nach Regeln geht“ habe auch ein Araber erfahren müssen, der „gedacht hat, dass alles über Geld läuft“, erinnert sich Heindl mit einem Schmunzeln. Ebenso sei der Fahrdienst für Besorgungen oder Arztbesuche durch Ehrenamtliche nicht umsonst. Dafür müsse eine „Gegenleistung“ erbracht werden.
Seit gut drei Jahren engagiert sich Heindl. In dieser Zeit hat die Kemnatherin viele Schicksale mitbekommen, aber erst, nachdem die Leute Vertrauen zu ihr hatten. Dazu gehört die Geschichte eines zweijährigen Mädchens. „Ihm ist gesagt worden, im Schlauchboot nicht den Kopf zu heben, weil es sonst erschossen werde.“ So haben die Flüchtlinge aus ihrer Heimat nicht nur Vorbehalte mitgebracht, sondern auch Traumata, meint Hartung. Dem können er, Heindl und ihr etwa zehnköpfiger Stamm von Ehrenamtlichen in den Helferkreisen Kemnath und Immenreuth nur durch Zuhören und Reden entgegenwirken. „Es gibt keine spezielle psychologische Hilfe“, bedauert der Sozialpädagoge. Und selbst wenn, die Flüchtlinge würden nicht hingehen, erklärt Heindl. Zum einen wegen der Sprachbarriere, zum an- deren sei das Konzept der Psychotherapie in den Herkunftsländern in der Regel unbekannt.
Rund 70 Flüchtlinge betreuen Heindl und der 31-Jährige in Kem- nath und Immenreuth. Davon leben etwa 20 in der Familienferienstätte und acht Minderjährige im SOS-Kinderdorf. Diese Jugendlichen gehen mit 18 ins betreute Wohnen, erläutert Hartung. Die Jugendhilfe stelle diesen dann einen Betreuer zur Seite, bis sie auf eigenen Beinen stehen. Das sei individuell verschieden, jedoch maximal bis die Jugendlichen 25 Jahre alt sind.
Mittlerweile sind laut der Kemnatherin von den 70 Flüchtlingen 10 in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis „oder auf dem Weg dahin“. Zu ihnen gehört ein 40-Jähriger, dem ein Unternehmen von sich aus eine Ausbildungsstelle angeboten habe, freut sich Heindl, die insgesamt zwölf Häuser, neben der Familienferienstätte und Unterkünften im Altlandkreis Kemnath noch Einrichtungen in Wiesau, Wildenreuth und Waldershof, betreut. Besonders stolz ist die Sozialamtsmitarbeiterin auf eine „Musterfamilie“ in Pullenreuth, die erst vor rund eineinhalb Jahren nach Deutschland gekommen sei. Deren beiden Söhne hätten Zeugnisse bekommen, „die sich von und zu schreiben“, und mittlerweile eben- falls eine Lehre begonnen haben. Einer von ihnen habe sogar die Führerscheinprüfung bestanden – „auf Deutsch“.
Andere Mädchen und Jungs haben für ihr Berufsleben die Region wieder verlassen. Ein Jugendlicher sei vor drei Wochen wegen einer Ausbildung nach Regensburg gezogen, ein weiterer nach Augsburg und einer nach Berlin, berichtet Hartung. Wegen des Arbeits- und Wohnungsangebots ziehe es sie in größere Städte. „Es ist aber schön, wenn man nach ein paar Monaten nochmal von ihnen hört und dass sie gut angekommen sind.“
Jugendliche sind lernfähiger als Erwachsene“, hat die 57-Jährige festgestellt. Sie hätten ein Ziel und wollten sich integrieren. Außer den „Musterknaben“, die sehr schnell auch ohne Schule Deutsch gelernt haben, kennt sie jedoch auch andere Fälle. Es seien eher die Männer, die weniger bereit seien zu lernen. In einer Familie spreche die Mutter perfekt Deutsch, der Vater, der seit eineinhalb Jahren einen Alphabetisierungskurs besuche, dagegen kaum.
Deutschkurs bis Januar
Ein gutes Dutzend absolviert Integrationskurse. Für Mütter, die davon ausgeschlossen sind, bietet Margarete Friedrich einen Deutschkurs in der Familienferienstätte an, der im Januar mit einer Prüfung enden wird und für den Hausherr Alfred Schuster einen Raum zur Verfügung gestellt hat. Kinder, die in Immenreuth oder Kemnath die Grundschule besuchen, kommen dort in der Ganztagsschule unter, die die Gesellschaft zur Förderung beruflicher und sozialer Integration (gfi) betreut. „Es ist wichtig, dass die Hausaufgaben gemacht werden und dass sie mit deutschen Kindern spielen“, betont Heindl. Die Kleinsten besuchten Kindergärten oder -krippen . „Es gibt hier niemanden, der gar nichts tut“, lacht Heindl. Schließlich sollten ihre Schützlinge so oft wie möglich mit der Bevölkerung zusammenkommen, damit Integration funktioniere.
Ein weiterer Baustein hierzu ist das Projekt Mieterqualifizierung. Dieses hat Heindl mit Jana Buttgereit, Migrationsberaterin beim Sozialteam Oberpfalz Nord (STZ), ins Leben gerufen. Zwei dieser Kurse in Neusorg für jeweils zehn Flüchtlinge haben sie schon organisiert. An deren Ende gab es für die erfolgreichen Teilnehmer Zertifikate. Ein dritter Lehrgang soll über das Sozialteam in Tirschenreuth laufen.
UNTÄTIGKEIT „NAGT AN DEN MENSCHEN“
Das Anfangschaos vor etwa drei Jahren ist Vergangenheit – ebenso lange Wartezeiten bei der Bearbeitung durch das Landratsamt. „Die Behörden haben jetzt ihre Strukturen“, erklärt Anita Heindl. Dazu gebe es ein Kommunikationsnetzwerk und feste Ansprechpartner, „falls man mal was braucht“. Inzwischen wüssten auch die Flüchtlinge, an wen sie sich wenden könnten, meint Stefan Hartung. Eine Hilfe ist auch die AWO-Kreisgeschäftsstelle in Mitterteich, die die Immigrationsberatung und alles, „was mit Papier zu tun hat“, übernimmt. Vorher mussten die Ehrenamtlichen der Helferkreise beim Ausfüllen von Formularen unterstützen. Heindl geht es nun vorrangig darum, die Leute in Arbeit zu bringen. Genau das ist oft ein Problem. Denn viele Flüchtlinge dürfen aufgrund ihres momentanen Status’ keiner bezahlten Tätigkeit nachgehen, obwohl die Behörden laut Hartung mittlerweile „flexibler sind und weniger Steine in den Weg legen“.
Unter all ihren Schützlingen habe sie bisher nur ein oder zwei Fälle gehabt, die gesagt hätten: „Hartz IV reicht mir“, betont die Kemnatherin. Die Menschen hätten ihren Stolz. „Das nagt an ihnen, wenn sie hier untätig sein müssen.“